«Wir standen vor dem Nichts
Ulrich Rubeli tritt Ende 2021 nach 14,5 Jahren als Zentralpräsident des SHV ab. Der 65-jährige Langenthaler moderierte die grösste Reorganisation der Verbandsgeschichte und hatte dabei harte Rückschläge wegzustecken.
Stephan Santschi
«Seriös, nicht spektakulär.» So umschreibt Ulrich «Ueli» Rubeli seine Zeit als Zentralpräsident des Schweizerischen Handball-Verbands, die Mitte 2007 begann und Ende 2021 vorbei sein wird. Passender kann sein Wirken in den letzten 14,5 Jahren nicht umschrieben werden. Rubeli war ein Schaffer im Hintergrund, ein Garant für Zuverlässigkeit und Verbindlichkeit, ohne aufsehenerregende Auftritte in der Öffentlichkeit. «Mein Ziel war es stets, für eine vernünftige Perspektive zu sorgen und dafür in allen wesentlichen Bereichen die Grundlagen zu schaffen», erklärt der Fürsprecher aus Langenthal. In sieben Stichworten blicken wir zurück auf die Person und die Ära von Ulrich Rubeli.
Die «EM-Euphorie»
Im Jahr 2006 fand die Europameisterschaft der Männer in der Schweiz statt. Unserem Handball sollte durch den Mega-Event neues Leben eingehaucht werden, denn die grossen Momente der Neunziger-Jahre mit dem vierten WM-Platz (1993) und dem Gewinn des Olympischen Diploms (1996) waren bereits eine Weile her. «Eine EM-Euphorie fand aber schlicht nicht statt», sagt Ulrich Rubeli in der Retrospektive. Der Nationalmannschaft fehlte die Qualität, dem Verband die Struktur und den Funktionären der Mut, um die geplante Vorwärtsstrategie umzusetzen. Kurz nach der EM bestritt die Schweiz gegen Russland zwei Spiele in der WM-Qualifikation und verlor 26:41 und 28:44. Rubeli wusste: «Es wird nicht einfach.»
Der Abwärtstrend
Ein Jahr später trat Rubeli den Posten des SHV-Zentralpräsidenten als Nachfolger von Willy Tobler an. Anstatt mit EM-Rückenwind Fahrt aufzunehmen, galt es, das sinkende Schiff zu retten. Die Agentur Sportart sicherte über eine beschränkte Zeit einen Sponsoring-Grundbetrag, schaffte es aber nicht, einen Sponsor für den Verband und das A-Nationalteam zu finden. «Sogar die finanzielle Basis, mit der ich gerechnet hatte, fiel damit weg», erzählt Rubeli und er hält fest: «Das hatte ich unterschätzt. Wäre der Erlös aus der EM nicht gewesen, hätte der Verband richtig Probleme bekommen.» Die Jahresrechnung präsentierte in dieser Zeit regelmässig Verluste, das Verbandsbudget von 3,5 Millionen Franken reichte im internationalen Vergleich nur zur Drittklassigkeit. Rubeli initiierte in der Folge eine Erhöhung der Lizenzgebühr und besetzte den Zentralvorstand neu. Mit Urs Berger und Jean-Claude Gsponer waren nun zwei Verwaltungsratprofis an Bord, um die Finanzen zu stabilisieren und den Zentralvorstand von einem operativen zu einem strategischen Gremium zu formen. Die Idee einer zentralen Organisation entstand, doch an der Delegiertenversammlung im Jahr 2012 lehnten die Vertreter der Regionen den Vorschlag ab. «Sie liessen uns ins Messer laufen, das setzte mir zu. Wir waren im absoluten Nirgendwo, wir standen vor dem Nichts.»
«Ich war überzeugt, dass man aus der Handball-Schweiz etwas machen konnte. Sehr viele Menschen, auch finanziell gut betuchte, standen hinter unserem Sport. Es hätte mich gereut, einfach tschüss zu sagen.»
Ulrich Rubeli, SHV-Zentralpräsident
Die Reorganisation
Rücktritt oder Durchziehen – Ulrich Rubeli stand vor der Wahl. Dass er sich für Zweiteres entschied, erklärt er heute so: «Ich war überzeugt, dass man aus der Handball-Schweiz etwas machen konnte. Sehr viele Menschen, auch finanziell gut betuchte, standen hinter unserem Sport. Es hätte mich gereut, einfach tschüss zu sagen.» Über einen Rückkommensantrag kam die Zentralisierung nochmals auf den Tisch und fand an der ausserordentlichen Delegiertenversammlung im März 2014 die Zustimmung. Der Weg für die «Struktur 2020» und die grösste Reorganisation in der Verbandsgeschichte war damit geebnet. «Nichts ist wichtiger als der Blick nach vorne» – Rubelis Credo war passender denn je. Die Modernisierung kehrte auf allen Ebenen des SHV ein, ein Vorgang, der überfällig war. «Den Anschluss verpassten wir bereits um die Jahrtausendwende, als im Handball das schnelle Anspiel aufkam und das Athletische immer wichtiger wurde», erzählt Rubeli und er ergänzt: «In der Schweiz wollte man sich mit dem gleichen Aufwand auf dem gleichen Level halten. Das war eine Illusion.» Handball war weiterhin ein Hobby, galt als Studentensport, nur wenige Akteure wagten den Schritt ins Ausland. Die Nationaltrainer Dragan Djukic (2006 bis 2008), Goran Perkovac (2008 bis 2013) und Rolf Brack (2013 bis 2016) bissen sich an der Ausgangslage die Zähne aus. Eine Professionalisierung war unabdingbar, auch strukturell.
Der Aufschwung
«Tue Gutes und rede darüber», so lautet ein weiterer Merksatz von Ulrich Rubeli. Fortan ging es darum, das eigene Schaffen sichtbar zu machen. Jürgen Krucker, ein Mann mit grosser Event-Erfahrung, kam als Geschäftsführer. Die Nationalmannschaft profitierte immer mehr von den talentierten, ambitionierten Junioren der 2009 lancierten Talentschmiede, die voll auf die Karte Handball setzen wollten. Als Michael Suter, der Leiter der Suisse Handball Academy, im Jahr 2016 zum vierten Nationaltrainer unter Rubeli aufstieg, begann der Steigerungslauf des A-Nationalteams. Spektakuläre Momentaufnahmen gegen Frankreich vor 6‘700 Zuschauern in Basel oder vor 10‘000 Fans gegen Deutschland in Zürich, sowie die Qualifikationen für die EM 2020 und WM 2021 boten Plattformen für die wirtschaftliche Entwicklung. Die Sponsoren-Akquise kam ins Rollen, das Schweizer Fernsehen übertrug, Swiss Olympic erhöhte die Fördergelder und das Budget wuchs auf den Spitzenwert von aktuell 8,5 Millionen Franken an. Die Corona-Massnahmen sorgten in den letzten beiden Jahren zwar für einen Dämpfer, «unsere Finanzen sind aber absolut stabil», berichtet Rubeli und mit Zuversicht fügt er an: «Bis 2025 sollen es zehn Millionen Franken Budget sein.»
Der Rücktritt
Für Ulrich Rubeli ist damit die Zeit gekommen, um abzutreten. Mit der Strategie 2025 beginnt Anfang 2022 nämlich ein neuer Zyklus und den soll von Beginn weg sein Nachfolger Pascal Jenny prägen (siehe Box). Per Ende Dezember tritt der 65-jährige Langenthaler zurück, nicht ohne für ein letztes Highlight gesorgt zu haben. Vor kurzem wurde bekannt, dass die Schweiz nicht nur Co-Gastgeberin der Frauen-EM 2024 ist, sondern mit Spanien und Portugal auch die Europameisterschaft der Männer im Jahr 2028 austragen wird. «Unser Hauptfokus liegt immer darauf, den Sportlerinnen und Sportlern eine Perspektive zu bieten. Durch die EM können wir sie längerfristig vermitteln.
«Unser Hauptfokus liegt immer darauf, den Sportlerinnen und Sportlern eine Perspektive zu bieten. Durch die EM im eigenen Land können wir sie längerfristig vermitteln.»
Ulrich Rubeli, SHV-Zentralpräsident
An die grosse Glocke hängte er seine Person aber auch in diesem Moment nicht. «Wenn ich sehe, wie sich international andere Verbandspräsidenten ins Szene setzen, dann muss ich sagen: Das ist mir ein Graus.» In seiner Funktion beim SHV sei sein Blick weniger nach aussen, sondern mehr nach innen gerichtet gewesen, auf die internen Vorgänge und deren Optimierung. «Im Misserfolg stehe ich Rede und Antwort. Im Fall des Erfolgs sollen aber andere im Fokus sein, dann geht es nicht darum, was ich gemacht habe. Das ist meine Art.»
Die Zukunft
Die Strategie 2025 widmet sich unter anderem der sogenannten Partizipation. «Dazu gehören Gedanken zu Tätigkeiten, wie man Handballinteressierte noch besser einbinden und wie man Handballuninteressierte für unseren Sport gewinnen kann», erklärt Rubeli. Konkret: Wer Handball spielen, sich aber nicht für 25 Meisterschaftsspiele verpflichten möchte, soll mit alternativen Wettbewerbsformen ebenfalls auf seine Kosten kommen. Die Anzahl der Lizenzen, die sich nach zwei Saisons ohne regulären Spielbetrieb auf ein Tief von rund 20‘000 Stück reduziert hat, soll künftig wieder angehoben werden. Zur Erinnerung: Anfang der Neunziger-Jahre lösten noch rund 35‘000 Handballer eine Lizenz. Vor allem der Rückgang bei den Frauen ist den Verantwortlichen ein Dorn im Auge. Mit dem Frauen-Nationalteam als künftigem Zugpferd und der CONCORDIA Handball-Akademie in Cham als Leuchtturm hält es Rubeli jedoch für möglich, die Gesamtzahl der Handballerinnen (Aktive, Inaktive und Juniorinnen) bis 2025 fast zu verdoppeln, und zwar von aktuell 5000 auf 9000. Mut macht die grosse Bewegung im Kinderhandball, zu der auch viele Mädchen zählen. «Nach dem U15-Alter verfügen sie in den Vereinen indes oftmals nicht mehr über die Möglichkeit, weiterzuspielen. Hier müssen wir mit den Vereinen Konzepte entwickeln.
Die Person
Als Funktionär wird der 65-jährige Ulrich Rubeli also bald in Rente gehen, ansonsten ist die Pension kein Thema. Seit 1989 arbeitet der Langenthaler als Fürsprecher und das soll auch noch eine Weile so bleiben. Die Zeit als Rechtsanwalt im Gericht mache dabei nur wenige Prozent seiner Tätigkeit aus. Sein Hauptaugenmerk liegt auf Verwaltungsratsmandaten und der Beratung von mittelgrossen KMU’s. Davor war er stellvertretender Chef der
Kriminalpolizei im Kanton Bern. Neben spannenden Kriminalfällen bekam er im Rahmen der Restrukturierung der Polizei auch einen prägenden Einblick in Unternehmensstrukturen. Als Spieler und Trainer wirkte er bis in die 1. Liga hinauf, ehe er seinem Stammklub HV Herzogenbuchsee in verschiedenen Funktionen zum Aufstieg zu einem der mitgliederstärksten Vereine verhalf. Als Ausgleich zum Beruf nennt Rubeli die Bewegung mit seiner Frau und seinen Hunden in der Natur. Auch ohne seine Pflichten im Handball werde es ihm nicht langweilig, versichert er. Unter anderem ist der kulturinteressierte Berner Präsident einer Stiftung für Kunstwerke.
Pascal Jenny, der Nachfolger
«Ich kenne keinen Menschen, der mehr Ideen hat, wenn er am Morgen aufwacht.» So umschreibt Ulrich Rubeli seinen Nachfolger Pascal Jenny (47) als Zentralpräsident im Schweizerischen Handball-Verband. Der 73-fache Ex-Nationalspieler ist seit 2012 Mitglied des Zentralvorstands und Mitglied im Exekutivrat von Swiss Olympic. «Aus der Handball-Community ist Päscu jener Mann mit dem absolut grössten Netzwerk», sagt Rubeli über den umtriebigen Präsidenten von Arosa Tourismus. Als SHV-Zentralpräsident werde Jenny einen anderen Stil pflegen, offener nach aussen, als er es selbst getan habe, erklärt Rubeli. «Die Handball-Schweiz kann sich auf neue Ideen, einen eingespielten Zentralvorstand und eine kompetente, operative Organisation für die Umsetzung freuen.» Pascal Jenny treibt bis Ende 2021 das zukunftsweisende Thema Partizipation im SHV voran und schafft die Voraussetzungen für die Überführung in die operativen Aufgaben. Am 1. Januar 2022 tritt er sein Amt als Zentralpräsident an.
Comentaris