Schweiz vor EM-Eröffnungsspiel: «Wir gehen voll rein»
Die Schweiz bestreitet am Mittwoch in Düsseldorf vor der Rekordkulisse von 53'000 Fans das EM-Eröffnungsspiel gegen Gastgeber Deutschland. Die Hauptprobe am Yellow Cup gelingt, trotzdem muss das Turnierformat in Frage gestellt werden.
Text: Stephan Santschi Bilder: Martin Deuring
Die Stimmung in der ausverkauften Axa-Arena zu Winterthur war fantastisch. Rund 2000 Fans feierten am letzten Samstag die Schweizer Nationalmannschaft, die sich nach Siegen gegen Rumänien (37:31), Bosnien-Herzegowina (39:21) und Argentinien (35:27) den Gewinn des 50. Yellow Cups sicherte. Mit Manuel Zehnder, der während diesen drei Tagen eine Leistungsexplosion offenbarte, figurierte auch der Topscorer und MVP des Turniers in ihrem Kader. «Wir sind in Form und im Jahr 2024 gut unterwegs», resümiert Trainer Michael Suter.
Zehnders Auftritt war sinnbildlich für die Schweizer, die ein Angriffsfeuerwerk zelebrierten. In 180 Minuten erzielten sie 111 Tore und damit 37 pro Spiel. Nie in der 75-jährigen Länderspielgeschichte war eine SHV-Auswahl in einer derart kurzen Zeitspanne effektiver. «Diese offensive Unbekümmertheit nehmen wir nach Deutschland mit. Wir wollen nicht verkrampfen, wir haben einige sehr junge Spieler im Team und die wollen Vollgas geben», freut sich Suter. Das spielerische Highlight war ein Pass von Max Gerbl entlang des Kreises zu Joël Willecke, der die Aktion mit einem erfolgreichen Abschluss krönte – ganz im Stil von Andy Schmid und Bjarte Myrhol.
Schweiz: Gute Figur im neuen Look
Weniger stilsicher präsentierte sich die Defensive, in Anbetracht der kurzfristigen Ausfälle von Abwehrchef Samuel Röthlisberger und Zoran Markovic verdiente aber auch sie ein Lob. Neben Lucas Meister deckten im Innenblock abwechslungsweise Lenny Rubin und Lukas Laube, auch Joël Willecke half vorübergehend aus. Zwar mangelte es hinten an Konstanz, doch in jeder der drei Partien sorgten die Schweizer nach der Pause mit rigoroser Aufräumarbeit und schnellen Gegenstössen für die Vorentscheidung. Sehr solide agierte Goalie Nikola Portner mit einer Fangquote von 32 Prozent, auch Stellvertreter Leonard Grazioli nutzte seine Einsatzzeit, parierte unter anderem drei Penaltys.
Fazit: Die Schweizer machten im neuen, schmucken Dress mit dem Bergpanorama auf der Rückseite eine gute Figur, die Hauptprobe für die am Mittwoch beginnende Europameisterschaft ist geglückt. Zufriedenstellend war auch das Publikumsinteresse, über 1700 Zuschauer besuchten im Schnitt die Auftritte des Heimteams. Und doch muss sich der Yellow Cup in diesem Format hinterfragen. Drei Spiele innert drei Tagen sind nicht mehr zeitgemäss, erst recht so kurz vor einem grossen Turnier.
Ausfall von Jonas Schelker ist ein Schock
Die viel zitierte Belastungssteuerung wird dadurch ad absurdum geführt, zumal die Schweizer in dieser Hinsicht mit dem Feuer spielten. Andy Schmid stand in Spiel eins 51 Minuten auf dem Platz, erstaunlicherweise figurierte er auch tags darauf in der Startformation. Prompt musste sich der 40-jährige Schlüsselspieler nach 11 Minuten mit muskulären Problemen am Oberschenkel auswechseln lassen. Sein Einsatz gegen Deutschland sollte nicht gefährdet sein, wie stark ihn die Blessur behindert, wird sich aber erst zeigen.
Viel schlimmer traf es gar Jonas Schelker, der in der dritten Partie bei einer Tempoverschärfung stolperte und sich einen Kreuzbandriss zuzog. Der Spielmacher des HC Kriens-Luzern spielt im Nationalteam zwar keine Hauptrolle, im rechten Rückraum entpuppte er sich aufgrund des Mangels an arrivierten Linkshändern aber als wertvolle Alternative. «Dieser Ausfall macht uns unfassbar traurig, wir wünschen Jonas von Herzen eine gute Besserung», bedauert Suter, der nach Küttel, Röthlisberger und Markovic bereits den vierten Ausfall hinnehmen muss.
SRF bezeichnet Andy Schmid als Kreisläufer
Nun aber gilt der Fokus der EM, am Montag flog die Schweiz mit einem 17-Mann-Kader nach Düsseldorf. Dort wird sie am Mittwoch gegen den Gastgeber vor der Weltrekord-Kulisse von 53'000 Fans in einer Fussballarena das Eröffnungsspiel bestreiten (20.45 Uhr, live SRF 2). Die starken Leistungen am Yellow Cup gegen die EM-Teilnehmer Rumänien und Bosnien-Herzegowina, sowie Panamerika-Meister Argentinien sorgen für Selbstvertrauen und Zuversicht, doch mit Deutschland, Frankreich und Nordmazedonien ist die Herausforderung in der Hammergruppe A ungleich grösser.
Nur zwei Teams pro Gruppe stossen in die Hauptrunde vor, die Schweiz tritt als Aussenseiterin mit Ambitionen an. «Ein Spiel vor 53'000 Zuschauern ist speziell, das müssen wir akzeptieren und nun gehen wir voll rein», sagt Suter und er betont: «Wir möchten siegreich heimkehren, uns wieder auf die Weltkarte des Handballs bringen und zeigen, wie toll unsere Sportart ist.» Dass der Aufholbedarf in Sachen Popularität hierzulande weiterhin gross ist, zeigte der Einspieler im Sportpanorama am Sonntagabend, in dem Spielmacher Andy Schmid als der beste Kreisläufer der Welt bezeichnet wird…
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