Nur EM-Platz 21 – die Schweizer enttäuschen
Unsere Nationalmannschaft verliert gegen Nordmazedonien mit 27:29 und scheidet aus der Europameisterschaft aus. Andy Schmid ist neuer Schweizer Rekordtorschütze – und tritt wahrscheinlich zurück.
Text: Stephan Santschi Bilder: Foto Wagner
Andy Schmid (links) und Manuel Zehnder (rechts) im Spiel gegen Mazedonien.
Die Schweizer zeigten an der Europameisterschaft in Deutschland zwei Gesichter: Das hässliche im Eröffnungsspiel gegen den Gastgeber, dem sie mit 14:27 unterlagen, das wunderschöne vier Tage später, als sie dem Olympiasieger Frankreich ein 26:26-Remis abtrotzten. In der abschliessenden Vorrunden-Partie am Dienstag gegen Nordmazedonien waren sie nun erstmals Favorit, und so stellte sich die Frage: Wo steht unser Nationalteam wirklich? Wo würde es sich mit seinem Leistungsvermögen zwischen den Extremen einordnen?
Die Antwort ist ernüchternd. Die Schweizer verlieren gegen Nordmazedonien mit 27:29, scheiden aus der Europameisterschaft aus und belegen in der Gruppe A den letzten Platz. «Siegreich heimkehren», wolle man, sagte Nationaltrainer Michael Suter im Vorfeld seines dritten und letzten grossen Turniers mit der SHV-Auswahl. Im Gegensatz zur EM 2020 (Sieg gegen Polen) und WM 2021 (Siege gegen Österreich, Island und Algerien), welche die Schweiz jeweils auf Rang 16 abschloss, gelingt dies nicht, diesmal muss sie sich mit Platz 21 begnügen. Das ist enttäuschend und erschwert ihr die Qualifikation zur WM 2025. Dazu später mehr.
Viele Fehlschüsse im Schweizer Angriff
Nordmazedonien hatte die Begegnungen mit Frankreich und Deutschland klar verloren, die Verunsicherung war ihm anzusehen, doch die Schweizer zogen daraus keinen Profit. Im Angriff zeigten sie sich wieder von ihrer fahrigen Seite, unzählige Fehler prägten ihr Spiel. Nordmazedoniens Keeper Martin Tomovski reichte ein gutes Stellungsspiel, um eine Parade an die andere zu reihen, derart unplatziert und kraftlos waren die Abschlüsse des Gegners. Sinnbildlich hierfür war der linke Aufbauer Lenny Rubin, der überhaupt nicht auf Touren kam. Wirkungslos war auch Nicolas Raemy, der im rechten Rückraum bemerkenswerterweise erneut in der Startaufstellung stand.
Während die Nordmazedonier über Leidenschaft und Hingabe allmählich ins Spiel fanden, gaben die Schweizer weiterhin Rätsel auf – nach 22 Minuten lagen sie mit 5:10 zurück. Brillante Kreisanspiele wie gegen Frankreich gelangen keine. Auch die Abwehr, die sich bisher gute Noten verdient hatte, agierte zu passiv, Goalie Nikola Portner baute nach gutem Start ab. «Es ist unverständlich, weshalb wir in der ersten Halbzeit nicht jene Energie auf den Platz brachten, wie wir es in der zweiten getan haben», befand Spielmacher Andy Schmid hinterher.
In WM-Playoff wartet ein stärkerer Gegner
Ihm, dem 40-jährigen Ausnahmekönner, war es zu verdanken, dass die Schweiz noch auf einen guten Ausgang hoffen konnte. Der Pausen-Rückstand von 9:13 erhöhte sich zunächst zwar auf 12:17, doch danach lieferten sich die beiden Teams ein Duell auf Augenhöhe. Schmid riss das Geschehen an sich und brachte die Schweiz, sekundiert vom dynamischen Manuel Zehnder, immer näher heran. In der 51. Minute gelang der Ausgleich (23:23), in der 57. Minute lagen die Schweizer sogar in Führung (27:26), auch Luka Maros hatte sich mittlerweile ins Spiel eingestempelt.
Die perfekte zweite Halbzeit glückte den Schweizern aber nicht, in den letzten Zügen schlichen sich wieder Fehler ein. Schmid verlor den Ball, Zehnders Abschluss missriet, die Abwehr liess sich zu einfach überwinden, Portner zeigte in der entscheidenden Phase keine Big Saves. Und so jubelten am Ende die Nordmazedonier über den Sieg und den Vorstoss auf den dritten Gruppenrang. Damit verschlechtert sich unsere Ausgangslage für die WM-Playoffs im Mai. Die Schweizer werden in der Auslosung vom 27. Januar nicht gesetzt sein, weshalb mit einem stärkeren Gegner (EM-Abschlussränge 7 bis 17) zu rechnen ist.
Die Schweiz stagniert unter Michael Suter
Ob Andy Schmid im Mai noch Teil des Nationalteams sein wird, ist mehr als fraglich. Der Spielmacher deutete nach der Partie seinen Rücktritt an, möglicherweise wird er auch die Saison mit Kriens-Luzern nicht zu Ende spielen, um sich auf seinen Job als Nationaltrainer ab Juli 2024 einzustimmen. Die Emotionen waren bei ihm entsprechend gross, immer wieder brach er in Tränen aus. Trotz des unbefriedigenden EM-Abschneidens verabschiedete sich der beste Schweizer Handballer aller Zeiten mit einem Ausrufezeichen. Dank seinen zwölf Buden gegen Nordmazedonien steht er nach 218 Länderspielen bei 1094 Treffern, womit er Marc Baumgartners Rekord (1093) um ein Tor übertrifft.
Als Mannschaft hat die Schweiz die Erwartungen indes nicht erfüllt, «unsere Bilanz ist nicht positiv», gestand Nationaltrainer Suter. Ihm gelang es zum wiederholten Mal nicht, das Potenzial seiner zweifellos talentierten Truppe auszuschöpfen und sie so einzustellen, dass sie für die grosse Aufgabe bereit war. Gegner Nordmazedonien veranschaulicht dabei, dass die Schweizer seit bald drei Jahren stagnieren. Im Mai 2021 verloren sie das entscheidende Qualifikationsspiel in Nordmazedonien mit 28:29 und verpassten die EM 2022. Die Nordmazedonier haben seither einen massiven Umbruch vollzogen – und stehen noch immer vor der Schweiz.
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