Ein Punkt zum WM-Auftakt – ob das reicht?
Ein Ergebnis aus einer anderen Zeit: Die Schweizer starten mit einem torarmen 17:17-Unentschieden gegen Tschechien in die Weltmeisterschaft und wissen nicht so recht, was sie davon halten sollen.
Text: Stephan Santschi Bilder: Foto Wagner
«Eine Abwehrschlacht. Ein Abnützungskampf. Kein schönes Handballspiel.» Andy Schmid machte sich und den Fans nichts vor, für Feinschmecker war der erste Schweizer WM-Auftritt harte Kost. Am Mittwoch spielten sie in der enttäuschend leeren Halle von Herning gegen Tschechien 17:17-Remis und erinnerten damit an die 1990-er Jahre. Damals war der Sport ein anderer, ein deutlich langsamerer, mit viel weniger Toren. Diesmal gelang es der Schweiz nicht, den verletzten Spielmacher Manuel Zehnder zu ersetzen – der Angriff präsentierte sich ungemein statisch.
Nikola Portner wurde zum «Player of the match» gewählt.
Zum Sieg hätte es trotzdem reichen können. Über weite Strecken der Partie lagen die Schweizer in Führung, nach einer Viertelstunde immerhin mit vier Treffern Differenz (6:2). «So geil, so geil», meinte Schmid während eines Timeouts. Die Abwehr war stark, der Goalie dahinter sogar überragend. Nikola Portner schraubte seine Fangquote zu Beginn auf 75 Prozent, auch am Ende verkörperten seine Werte mit 14 Paraden und 47 Prozent abgewehrter Bälle noch immer Weltklasse. Die Blumen reichte der Captain und Teamsenior aber gleich weiter: «In meiner Nati-Karriere war dies in der Verteidigung das beste Länderspiel.»
Eklatante Torflaute kostet Führung
Die Tschechen bauten in ihrer Platzhälfte aber ebenfalls ein Bollwerk auf und verfügten mit dem Kieler Tomas Mrkva auch über einen grossartigen Torhüter. Die Osteuropäer fanden zurück ins Spiel und machten bis zur 35. Minute dank eines 5:0-Laufs aus einem 5:8 ein 10:8; in dieser Phase blieben die Schweizer während fast einer Viertelstunde ohne Torerfolg. In der Offensive herrschte zu wenig Spielfluss, zu wenig Breite, zu wenig Konsequenz im Abschluss, oder anders formuliert: Die Nervosität ohne Entfesselungskünstler Zehnder war gross. Zuweilen war gar Ratlosigkeit erkennbar, auch mit der weichen Linie der argentinischen Referees, die viel durchgehen liessen, taten sie sich schwer.
Symptomatisch für den Auftritt der auf diesem Niveau unerfahrenen Schweizer war die Szene, als der 19-jährige Gino Steenaerts in guter Abschlussposition überraschend Lenny Rubin anspielte, anstatt selbst zu werfen. Es schien, als ereilte den Überflieger die Angst vor der eigenen Courage, als ob der Senkrechtstarter der letzten Jahre für einmal mit dem Kopf am Himmel anstiess. Auch Linksaussen Samuel Zehnder und Kreisläufer Lukas Laube, die Ersatz-Spielmacher Mehdi Ben Romdhane und Felix Aellen oder die Aufbauer Luka Maros und Dimitrij Küttel sündigten im Abschluss.
Lenny Rubin traf für die Schweiz 8 Mal.
Wieder in alter Stärke: Lenny Rubin
Und so avancierte im Angriff letztlich ein Akteur zur Schweizer Lebensversicherung, der in der WM-Vorbereitung aufgrund seiner ungenügenden Körpersprache noch Rätsel aufgeworfen hatte – Lenny Rubin. Der 2,05-Meter grosse Rückraumspieler agierte mit einer Entschlossenheit, die sein Team nun mehr denn je braucht. Acht Tore und damit fast die Hälfte der Schweizer Treffer hatte der Stuttgarter Shooter am Ende erzielt, ihm gelang in der 57. Minute mit 102 km/h auch der Ausgleichstreffer zum 17:17-Endstand. «Fantastisch», freute sich Schmid über die Performance seines Leistungsträgers.
Unmittelbar nach Spielschluss betonte Andy Schmid bei seiner persönlichen WM-Premiere als Trainer den Stolz auf seine Mannschaft, wusste aber nicht so recht, ob er von einem gewonnenen oder verlorenen Punkt sprechen sollte. Klarer artikulierte sich in dieser Hinsicht Keeper Portner: «Natürlich lag mehr drin, ich bin sehr enttäuscht. Wir hatten eine Riesenchance, um zu gewinnen.» Fest steht: Durch die Punkteteilung mit dem vermeintlich schwächsten Gruppengegner wird der Kampf um die Top 3 und den Einzug in die Hauptrunde richtig eng. Nun kann jedes Tor entscheidend sein.
Tschechien – Schweiz 17:17 (7:8) Jyske Bank Boxen, Herning (Dä). – 2091 Zuschauer. – SR Lopez Grillo/Lenci (Arg). – Strafen: 3-mal 2 Minuten gegen Tschechien, 2-mal 2 Minuten gegen die Schweiz. – Tschechien: Mrkva (12 Paraden); Sterba, Piroch (1 Tor), Babak, Solak (2), Hrstka (2/1), Reichl, Zeman, Havran (1); Blecha (1), Kasparek (2), Morkovsky (5), Skopar (3), Reznicky. – Schweiz: Portner (14 Paraden); Steenaerts, Aellen (2 Tore), Mehdi Ben Romdhane (2), Maros (1), Samuel Zehnder (2/2), Laube (1), Röthlisberger; Rubin (8), Meister, Küttel, Sigrist (1). – Bemerkungen: Schweiz ohne Manuel Zehnder (verletzt), Kusio, Seravalli (überzählig).
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