50 Jahre SHV im Zeitraffer
Gleich mehrere Titelturniere organisiert der SHV in dieser Zeit, schwört dem Kommunistenboykott ab, bekennt sich zum Freizügigkeitsprinzip und feiert mit seinen Landesauswahlen, aber auch mit Klubteams einige erfreuliche internationale Erfolge.
1974 - 1983
Der Schweizerische Handball-Verband (SHV) wird am 7. Dezember 1974 im Hotel Metropole in Bern gegründet und nimmt seine Arbeit als Nachfolge-Organisation des Handball-Ausschusses (HBA) auf. Erster Verbandspräsident wird der Basler Bruno Freivogel, dessen Name in den Medien auch mal falsch als «Fleischvogel» wiedergegeben wird. Auf Anhieb bekennt sich der SHV zum Leistungssport, der sich in Westeuropa in diesen Jahren zunehmend vom reinen Freizeitsport abzuheben beginnt.
Er verpflichtet deshalb als Nationaltrainer für die Männerauswahl aus dem «bösen», weil kommunistischen Osten Europas den erst 33-jährigen Pero Janjic. Die sogenannten «Staatsamateure» des Ostblocks sind in dieser Zeit in vielen Sportarten, auch im Handball, besonders erfolgreich. Dem bosnischen Jugoslawen Janjic gelingt es auf Anhieb, die Schweizer an die Weltspitze heranzuführen: Sie qualifizieren sich für das Olympische Turnier 1980 in Moskau. Sein Erfolgsrezept: «Die Schweizer hatten bisher immer zu viel Respekt vor den Mannschaften aus dem Osten. Man muss ihnen diesen Respekt, ja ihren Komplex nehmen, indem man möglichst oft gegen diese Teams antritt», erläutert Janjic, mit seinem gegerbten Gesicht entfernt an Winnetou erinnernd, seine Marschrichtung. Sie bedeutet einen Bruch mit der früheren Ausrichtung des nationalen Verbands, der nach dem Zweiten Weltkrieg die Teams aus dem Ostblock aus politischen Gründen boykottiert hatte. Ernst Züllig wird in Moskau mit 40 Treffern Zweiter im Torschützen-Klassement.
Zwei Jahre darauf nimmt die Schweiz in Deutschland (BRD) erstmals an einer A-WM teil. Damals wurden die Weltmeisterschaften in drei Stärkeklassen ausgetragen. Die Schweizer mit dem pummeligen St. Galler Robert «Body» Jehle als Topskorer schaffen an der B-WM 1981 den Aufstieg in die A-Klasse. Trainer ist unterdessen ein anderer Mann aus dem damaligen Jugoslawien, der ebenfalls erst 32-jährige Sead Hasanefendic. «Unser Erfolgsgeheimnis ist die 3-2-1-Verteidigung. Man hat immer wieder gesagt, die Mannschaft beherrsche dieses System nicht. Aber wir haben es in der Vorbereitung immer wieder geübt,» jubelt «Hasa» nach dem Aufstieg und schiebt das Bier, das ihm angeboten wird, mit den Worten weg: «Das ist 2. Liga, wir sind jetzt aber in der 1. Liga» - und bestellt sich einen doppelten Cognac.
1984 - 1993
Erstmals in der Geschichte des Hallenhandballs findet 1986 eine Weltmeisterschaft in der Schweiz statt. Die 54 WM-Partien sind an elf verschiedene Orte in der ganzen Schweiz vergeben worden. Selbst die Eishockey-Metropole Davos auf 1560 Meter über Meer gehört dazu. Hier findet sogar das Schlagerspiel DDR – Sowjetunion statt. Die Eishalle ist zu diesem Zweck eigens mit dem Boden aus der Münchner Olympiahalle bedeckt worden. Der Final (Jugoslawien – Ungarn 24:22) findet im platschvollen Zürcher Hallenstadion statt. Die Schweiz mit den beiden danach abtretenden 33-jährigen Teamsenioren Ueli Nacht und Max Schär und einer Reihe von aufstrebenden, jungen Kräften wie dem erst 23-jährigen René Barth, der bis zu diesem Zeitpunkt mehr Länder- als Meisterschaftsspiele in der obersten Liga bestritten hat, vermag den Heimvorteil nicht zu nutzen. Sie wird nur Elfte.
1988 wird das Handball Magazin - das heutige Handballworld unter der Ägide von Daniel Zobrist gegründet. Seit der ersten Ausgabe wird im Magazin über den Männer und den Frauen Handball berichtet. 1991 kämpft sich die Frauen-Equipe des LC Brühl mit Spielmacherin Vroni Keller bis in den Halbfinal des Europacups vor. Es bleibt bis heute der resultatmässig grösste Erfolg eines Frauen-Teams des Schweizer Verbands in einem internationalen Wettbewerb. Zum Heimspiel gegen Hypobank Südstadt (17:32), das Endstation bedeutet, kommen in St. Gallen 1500 Fans!
1993 erlebt der Schweizerische Handball-Verband den bis heute grössten Triumph seiner Männerauswahl: Sie wird unter Arno Ehret, dem deutschen «Handballer des Jahres» von 1980, WM-Vierte. Die Bronze-Medaille entgeht ihr beim 16:26 gegen Gastgeber Schweden allerdings deutlich. Die grosse Entdeckung des Turniers heisst Marc Baumgartner. Der 22-jährige Berner wirft Tore in Serie und wird mit 47 Treffern Torschützenkönig. Er spielt – wie auch später in seiner Karriere - mit einem auffälligen Zahnschutz, was Spötter zur Bemerkung veranlasst, «Boumi» sei der einzige Schweizer Spieler, der nicht nur mental, sondern auch dental vorbereitet sei. In einer Zeit, in der Auslandengagements für Schweizer Spieler noch die grosse Ausnahme sind, wechselt er nach der WM zum TBV Lemgo in die deutsche Bundesliga.
1994 - 2003
1996 nimmt die Männer Nationalmannschaft mit Fahnenträger Stefan Schärer an der Olympiade in Atlanta teil und holt sich den 8. Rang. Weiter sorgten ab 1997 bis 2003 die durch Handballworld organisierten All-Star-Games für mehr Glamour und Show in den Handballhallen. Dabei spielten eine Seléction Ost gegen eine Auswahl West der NLA, später gab es auch die Affiche, wo die Stars der Liga gegen die Nationalmanschaft antraten. Mit einem bislang einmaligen Konzept richtet der SHV 2001 die U21-WM aus: Die 82 Partien werden auf 24 verschiedene Spielorte im ganzen Land verteilt, um möglichst viele Interessierte zu erreichen. Dazu braucht es über 1000 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer – eine Herkulesaufgabe! Das Schweizer Team, zu dem auch ein gewisser Manuel Liniger gehört, vermag den Heimvorteil allerdings nicht zu nutzen und belegt den 15. Rang unter 20 teilnehmenden Nationen. Trotzdem lobt Sportminister Samuel Schmid: «Der Schweizerische Handball-Verband hat erkannt, dass in einem kleinen Land wie der Schweiz die jungen Spieler sorgfältig ausgebildet, gezielt gefördert und umfassend betreut werden müssen.» Zwei Jahre darauf klappt es besser: Die Schweiz platziert sich mit ihrer U21-Auswahl in Brasilien mitten in der Weltspitze auf Rang 6.
Ab Saison 2003/04 öffnet der Schweizerische Handball-Verband gewissermassen die Grenzen und setzt das Prinzip der Personenfreizügigkeit um. Von nun an werden Spielerinnen und Spieler aus EU-Ländern denjenigen aus der Schweiz gleichgestellt. Das heisst, dass Schweizer Vereine beliebig viele Spielerinnen und Spieler aus diesen Ländern einsetzen können. Das gilt sogar für jene zehn Staaten, die erst im Mai 2004 der EU beitreten werden. Kadetten Schaffhausen macht sich dies auf Anhieb zunutze und hat mit dem Tschechen Martin Kovar, dem Polen Szymon Szczucki sowie den beiden Litauern Vaidas Klimciauskas und Julius Marcinkevicius gleich vier Ausländer unter Vertrag genommen.
2004 - 2013
Im Jahr 2005 setzt Wacker Thun einen weiteren Meilenstein in der Geschichte des Schweizer Handballs: Die Mannschaft von Peter Bachmann gewinnt als erste und bis heute einzige aus der Schweiz einen internationalen Wettbewerb. Im Challenge-Cup, zu dem die stärksten Handball-Nationen nicht zugelassen sind, schlagen sie im Final den portugiesischen Vertreter Braga 29:24 und verlieren auswärts nur 26:29. Nach einem friedlichen Nachtessen zusammen mit der gegnerischen Mannschaft springen einige Thuner Akteure in der Innenstadt von Braga, nur noch mit Unterhosen bekleidet, in einen knietiefen Brunnen und kühlen so ihre Festfreude. Schon um 5 Uhr früh geht’s dann mit dem Bus zum Flughafen und damit wieder heimwärts. «Wir sind jetzt bei der EHF in Wien auf einer Ehrentafel verewigt, unser Sieg wurde international registriert», entgegnet Trainer Peter Bachmann jenen Kritikern, die ihm vorhalten, der Challenge Cup sei nur ein zweitklassiger Wettbewerb.
Im darauffolgenden Jahr 2006 ist die Schweiz Gastgeber der EM-Endrunde. Die Vergabe fällt ihr keineswegs einfach in den Schoss. Vielmehr lobbyiert SHV-Präsident Willy Tobler intensiv und argumentiert geschickt damit, das Titelturnier habe bisher ausschliesslich an den Rändern Europas Halt gemacht. Nun sei es Zeit für einen Anlass im Herzen des Kontinents. Um dem Nationalteam möglichst viel Wettkampfroutine und -stabilität zu verschaffen, wird es im Vorfeld der EM auf Initiative von Nationaltrainer Arno Ehret hin in die Schweizer Meisterschaft integriert und bestreitet so eine einfache Runde gegen alle Klubs der obersten Liga. Doch es nützt nichts: Die Schweiz mit Teamsenior Pascal Jenny (32) dem heutigen SHV-Präsidenten und Rookie Andy Schmid (22), dem heutigen Nationaltrainer, belegt am Schluss nur Rang 14 unter 16 Teilnehmern. Seit 2012 führt Handballworld die Swiss Handball Awards Gala durch, wo die Stars in glamourösem Ambiente ausgezeichnet werden.
2014 - 2024
Der SHV reformiert sich. Ab Saison 2016/17 wird der Spielbetrieb in den unteren Ligen, der bisher Sache der Regionalverbände war, zentralisiert. Nicht zuletzt die Digitalisierung macht es möglich. Und im Jahr 2021 tritt Ulrich Rubeli als Verbandspräsident zurück. Er hat volle 14 Jahre in dieser Funktion gewirkt – länger als jeder andere SHV-Präsident! Dass im gleichen Jahr die Schweizer Männer erstmals seit 26 Jahren wieder an einer Weltmeisterschaft teilnehmen können, ist für einmal nicht nur ihrer Leistung auf dem Spielfeld geschuldet. Weltweit ist die Corona-Pandemie ausgebrochen. Der Weltverband IHF hat aber entschieden, die Titelkämpfe in Ägypten trotzdem durchzuführen. Doch Tschechien und die USA müssen sich kurzfristig zurückziehen, weil ein Teil ihrer Spieler mit positiven Tests nicht spielbereit ist. So rückt Michael Suters Team nach und fliegt gewissermassen in letzter Minute ins Land der Pyramiden. Die Schuhe haben die Spieler vorsichtshalber im Handgepäck verstaut. Gut eine Stunde vor Beginn ihres ersten Spiels trifft dann auch noch das Material mit allen Leibchen und Hosen ein. Andy Schmid und Co. schlagen sich sehr achtbar und werden 16. im 32er-Feld. «Diese WM und unser Rang in der vorderen Hälfte ist für uns unglaublich wichtig, sowohl was unsere Stellung bei Swiss Olympic betrifft als auch im Schweizer Sport. Mit jährlich bis zu 800’0000 Franken erhalten wir so viel Geld wie noch nie von Swiss Olympic,» bilanziert Ingo Meckes, Chef Leistungssport im SHV. Auch dass die Schweizer Frauen-Auswahl 2022 erstmals an einem internationalen Titelturnier teilnehmen kann, ist von äusseren Umständen beeinflusst: Russland hat in der Ukraine einen Krieg begonnen. Die Europäische Handball-Föderation (EHF) hat darauf sämtliche russischen Nationalmannschaften und Klub-Teams von den laufenden internationalen Wettkämpfen ausgeschlossen. Sämtliche verbleibenden Spiele der Russinnen, die zusammen mit den Schweizerinnen in der gleichen Qualifikationsgruppe eingeteilt sind, werden mit einer 0:10-Forfaitniederlage gewertet. Mit einem 34:18-Sieg über Litauen in Gümligen sichert sich die Equipe von Martin Albertsen definitiv den zweiten Gruppenplatz und qualifiziert sich für die EM. «Eine solche Qualifikation ist genau das, was der Schweizer Handball braucht», freut sich der Nationaltrainer. In der Vorrunde landen die Debütantinnen dann auf dem letzten Gruppenplatz und scheiden in Slowenien aus dem Turnier aus. Mit einem 26:26-Unentschieden gegen Kroatien feiern sie aber ihren ersten Punkt an einer EM. Erstmals gewinnen 2023, nach 2018 Nikola Portner mit Montpellier, zwei Schweizer Spieler zusammen die Champions League. Nikola Portner und Lucas Meister holen mit dem SC Magdeburg gegen den grossen FC Barcelona die prestigeträchtige Trophäe, nachdem sie im selben Jahr auch Vereins-Weltmeister, Vize-Meister und Pokalfinalist wurden. An der EM Ende 2024 nehmen die Schweizer Frauen wieder teil und qualifizieren sich in Basel für die Hauptrunde in Wien (siehe Artikel ab S. 12). Die Hälfte der jetzt von Knut Ove Joa trainierten Equipe spielt in fünf verschiedenen starken ausländischen Ligen, was belegt, dass auch die Frauen des Schweizer Verbandes an der internationalen Spitze angekommen sind.
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