Die Champions League spielt in Kiel derzeit nur die zweite Geige
Trotz zwei Niederlagen in Folge ist der THW Kiel am Samstag gegen Kadetten in der Favoritenrolle – Aufstrebende Talent und ein tolles Torwartduo
Wenn der THW Kiel in früheren Jahren zwei Champions-League-Spiele hintereinander verloren hat, wurde vom Umfeld schon einmal der Teufel an die Wand gemalt. In den vergangenen beiden Wochen setzte es für den deutsche Rekordmeister in Barcelona und in Veszprem zwei Niederlagen – beide waren vermeidbar, aber über beide hat man sich beim THW nicht so richtig geärgert. Die Sichtweise hat sich beim dreifachen Champions-League-Sieger einfach verschoben – vor allem angesichts des neuen CL-Spielsystems, bei dem sechs Mannschaften aus den Achtergruppen A und B weiterkommen. Das wird Kiel auf jeden Fall schaffen – und die Abschlussplatzierung ist ihnen eigentlich egal.
Wildcard für Champions League
Der Fokus liegt auf der Bundesliga, denn dort – und im DHB-Pokal – sind die Kieler die Jäger, nicht wie sonst die Gejagten, erstmals seit 2003 holte der THW in der Spielzeit 2015/16 keinen einzigen Titel. Nachdem Andy Schmid und die Rhein Neckar Löwen ihnen die deutsche Meisterschaft weggeschnappt haben, ist es das Hauptziel von Trainer Alfred Gislason, die Trophäe wieder in den Norden zu holen, die Champions League spielt vor dem Start der K.o.-Runde im März daher erst einmal die zweite Geige. Denn erstmals überhaupt benötigten die Kieler eine Wildcard, um als Bundesligadritter in der Königsklasse mitzuspielen. Schon im Vorjahr hatten die Kieler die Prioritäten ähnlich gesetzt – auch weil sie von einer langen Verletzungsserie heimgesucht wurden. Als es im Viertelfinale gegen Barcelona darauf ankam, war der THW hellwach, man qualifizierte sich zum sechsten Mal (so oft wie kein anderes Team bislang) für das VELUX EHF FINAL4 in Köln. Dort gab man den möglichen Finaleinzug im Halbfinal gegen Veszprem aus der Hand, wurde Vierter.
Umbruch und Verjüngung
Und mit dieser Saison wurden der Umbruch und die Verjüngung fortgesetzt. Nachdem zuvor bereits Stars wie Aron Palmarsson, Filip Jicha oder Momir Ilic die Kieler verlassen hatten, waren es nun insgesamt sieben Spieler, darunter der spanische Weltmeister Joan Canellas oder Publikumsliebling Dominik Klein. Neben Rückkehrer Christian Zeitz, der vor allem die Abwehr stabilisieren soll, setzt Gislason auf zwei 19-Jährige – und die mischen derzeit die Liga und die Champions League auf: der Schwede Lukas Nilsson und der Österreicher Nikola Bilyk. Dazu kam in Raul Santos ein weiterer Österreicher, der allerdings erst einmal die Folgen eines Kreuzbandrisses verarbeiten musste.
Bestes Torwart-Duo
Den grössten Coup hatten die Kieler frühzeitig eingetütet: In Andreas Wolff kam der deutsche EM-Held nach Kiel, um dort mit dem dänischen Olympiasieger Niklas Landin das wohl beste Torwart-Duo des Clubhandballs zu stellen. Bisher klappt die Arbeitsteilung der beiden Alphatiere gut, an den Torhütern lagen die bisher drei Niederlagen (in der Liga gegen Wetzlar) nicht, eher am knallhart getakteten Spielplan. Auch daher hatten die Kieler bei der Bundesligatagung eine Aufstockung der Kader in der HBL von 14 auf 16 pro Spiel gefordert – waren aber gescheitert. «Die übrigen Klubs der Bundesliga haben so dafür gesorgt, dass deutsche Mannschaften international nicht wettbewerbsfähig sind», sagte Manager Storm nach der Entscheidung.
Und gleich zum Saisonstart wurde den Kielern bewusst, wie wichtig Alternativ wären: Bei Olympia zog sich Ex-Kadette Christian Dissinger ein Kompartmentsyndrom (geschwollener Bluterguss) zu, musste noch in Rio operiert werden und fällt seither aus. Als Konsequenz meldete er sich bis Saisonende aus der Nationalmannschaft ab – wird am Samstag beim Gastspiel in Schaffhausen fehlen. Für diese Partie sind die Kieler (4:4 Zähler) gegen die noch punktlosen Kadetten der Favorit, auch wenn Alfred Gislason warnt: «Schaffhausen wird alles daran setzen, die gegen Bjerringbro verlorenen Punkte gegen uns zu holen.»
Björn Pazen